Patchworkfamilien sind in Deutschland längst keine Seltenheit mehr. Immer mehr Paare bringen Kinder aus früheren Beziehungen in eine neue Ehe oder Partnerschaft ein und gründen gleichzeitig eine gemeinsame Familie. Im täglichen Leben ist „Patchwork“ längst normal, doch wenn es um Fragen des Erbrechts geht, treten die rechtlichen Grenzen moderner Familienkonstellationen deutlich zutage. Das deutsche Erbrecht ist nach wie vor auf die klassische Familie zugeschnitten. Es kennt den überlebenden Ehegatten, die gemeinsamen leiblichen Kinder und in den weiteren Ordnungen Eltern oder Geschwister, lässt aber Stiefkinder weitgehend unberücksichtigt. Genau hier liegt der Grund dafür, dass es im Erbfall in Patchworkfamilien so häufig zu Konflikten kommt.
Besonders problematisch sind Konstellationen, in denen Kinder aus erster Ehe neben einem neuen Ehepartner oder den gemeinsamen Kindern aus zweiter Ehe erben sollen. Während das Gesetz klare Regelungen vorgibt, entspricht deren Ergebnis selten den Wünschen der Erblasser bzw. dem Gerechtigkeitsempfinden der betroffenen Patchworkfamilien. Stiefkinder, die jahrelang Teil der Familie sind, haben ohne Testament keinerlei Ansprüche. Pflichtteilsrechte von Kindern aus früheren Beziehungen können dazu führen, dass Immobilien oder Vermögenswerte veräußert werden müssen. Hinzu kommt die Frage, wie der überlebende Ehepartner abgesichert werden kann, ohne andere Familienmitglieder zu benachteiligen.
Gerade in Patchworkfamilien zeigt sich daher: Ohne individuelle Gestaltung durch Testament oder Erbvertrag lassen sich gerechte und tragfähige Lösungen kaum erreichen.
Gesetzliche Erbfolge: Wo liegen die Probleme bei Patchworkfamilien?
Die gesetzliche Erbfolge richtet sich nach den §§ 1924 ff. BGB. Sie knüpft ausschließlich an die Blutsverwandtschaft an. Das bedeutet, dass nur die leiblichen Kinder des Erblassers Erben erster Ordnung sind. Stiefkinder werden nicht berücksichtigt, auch wenn sie über viele Jahre in einer familiären Gemeinschaft mit dem Erblasser gelebt haben.
Stirbt ein Elternteil in einer Patchworkfamilie, sieht das Gesetz vor, dass der überlebende Ehegatte neben den leiblichen Kindern erbt. Alle Kinder – unabhängig davon, ob sie aus einer bestehenden Ehe, einer früheren Ehe, einer nichtehelichen Beziehung oder einer Partnerschaft stammen – werden gleichgestellt, ganz gleich, ob sie minderjährig oder erwachsen sind oder wie eng ihre Bindung zum Erblasser war. Für neue Partner oder deren Kinder ist die gesetzliche Erbfolge dagegen hart: Ohne testamentarische Verfügung bleiben sie außen vor.
Beispiel
Ein Mann hinterlässt 300.000 €. Er ist in zweiter Ehe verheiratet und hat eine Tochter aus erster Ehe sowie einen Sohn aus der zweiten Ehe. Außerdem lebt ein Stiefsohn der Ehefrau mit in der Familie, der nicht adoptiert wurde.
Nach der gesetzlichen Erbfolge erbt die Ehefrau 150.000 €, die Tochter aus erster Ehe 75.000 € und der Sohn aus der zweiten Ehe ebenfalls 75.000 €.
Der Stiefsohn erhält dagegen nichts, auch wenn er viele Jahre Teil der Familie war. Stiefkinder sind gesetzlich nicht erbberechtigt.
Diese Konstellationen zeigen, wie groß die Kluft zwischen der gesetzlichen Regelung und der Lebenswirklichkeit ist.
Rechte von Kindern in Patchworkfamilien
Ein zentrales Thema im Patchwork-Erbrecht sind die Rechte der Kinder. Das Gesetz differenziert sehr genau zwischen leiblichen Kindern, adoptierten Kindern und Stiefkindern.
- Leibliche Kinder sind immer gesetzliche Erben. Das gilt unabhängig davon, aus welcher ehelichen oder nicht-ehelichen Beziehung sie stammen. Sie sind zudem pflichtteilsberechtigt, was bedeutet, dass sie selbst dann einen Anspruch auf einen Teil des Nachlasses haben, wenn sie testamentarisch enterbt wurden.
- Bei adoptierten Kindern ist zu unterscheiden: Mit einer Volladoption nach § 1754 BGB wird das Kind rechtlich einem leiblichen Kind gleichgestellt. Es erhält damit sowohl Erb- als auch Pflichtteilsrechte gegenüber den Adoptiveltern und verliert gleichzeitig die rechtliche Bindung zu den leiblichen Eltern. Anders ist es bei der sogenannten schwachen Adoption nach § 1772 BGB, die vor allem im Erwachsenenalter vorkommt. Hier bleiben bestimmte Bindungen zu den leiblichen Eltern bestehen, sodass sich komplexe Erbfolgen ergeben können.
- Stiefkinder haben dagegen keinerlei gesetzliches Erbrecht. Sie können nur dann berücksichtigt werden, wenn der Erblasser sie ausdrücklich in einem Testament oder Erbvertrag einsetzt bzw. andere Formen der Beteiligung wählt. Ohne solche Regelungen gehen sie im Erbfall leer aus, selbst dann, wenn sie seit frühester Kindheit mit dem Stiefelternteil zusammengelebt haben.
Die Rolle des Ehegatten in der Patchworkfamilie
Der überlebende Ehegatte hat nach § 1931 BGB einen gesetzlichen Erbteil, dessen Höhe von der Zahl der Kinder abhängt. Hinzu kommt in der Regel der pauschale Zugewinnausgleich nach § 1371 BGB, der den Erbteil des Ehepartners deutlich erhöht.
In Patchworkfamilien führt das regelmäßig zu Konflikten. Die Kinder aus erster Ehe fühlen sich oft benachteiligt, wenn der neue Partner einen erheblichen Teil des Nachlasses erhält. Gleichzeitig möchte der überlebende Ehegatte abgesichert sein und nicht Gefahr laufen, durch Pflichtteilsansprüche in eine wirtschaftlich prekäre Lage gedrängt zu werden. Besonders schwierig ist dies, wenn eine Immobilie Teil des Nachlasses ist. Forderungen von Kindern aus erster Ehe können dazu führen, dass das Haus verkauft werden muss, obwohl der überlebende Ehepartner dort weiterleben möchte.
Das Spannungsverhältnis zwischen der Absicherung des Ehepartners und den Ansprüchen der Kinder ist eines der Kernprobleme des Patchwork-Erbrechts.
Pflichtteilsansprüche in Patchworkkonstellationen
Pflichtteilsansprüche sind in Patchworkfamilien oft konfliktträchtig. Nach § 2303 BGB steht den nächsten Angehörigen, insbesondere den leiblichen Kindern, auch dann ein Pflichtteil zu, wenn sie durch Testament von der Erbfolge ausgeschlossen wurden. Der Pflichtteil beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils.
Für Kinder aus erster Ehe bedeutet das: Selbst wenn der Erblasser seinen neuen Ehepartner zum Alleinerben einsetzt, können sie ihre Pflichtteilsansprüche geltend machen. In der Praxis führt das häufig zu Belastungen für den überlebenden Ehegatten, denn die Pflichtteile müssen in Geld ausgezahlt werden. Gerade wenn Immobilien oder Unternehmensanteile den wesentlichen Teil des Nachlasses bilden, ist die Gefahr groß, dass Vermögenswerte veräußert werden müssen, um die Ansprüche zu erfüllen. Für Patchworkfamilien ist es daher besonders wichtig, Pflichtteilsrechte von Beginn an in die Nachlassplanung einzubeziehen und Lösungen zu finden, die die Ansprüche der Kinder berücksichtigen, ohne den überlebenden Partner wirtschaftlich zu überfordern.
Gestaltungsmöglichkeiten durch Testament und Erbvertrag
Wer als Patchworkfamilie Streit vermeiden und alle Familienmitglieder angemessen berücksichtigen möchte, sollte rechtzeitig Vorsorge treffen. Testament und Erbvertrag bilden die Grundlage hierfür. Darin können unter anderem folgende Gestaltungen vorgesehen werden:
- Berliner Testament
Viele Ehepaare entscheiden sich für ein Berliner Testament, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzen. Das sichert den überlebenden Partner ab, benachteiligt aber die Kinder aus erster Ehe, die auf den Pflichtteil verwiesen sind. - Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft
Hier wird zunächst der Ehepartner zum Vorerben eingesetzt, während die Kinder als Nacherben bestimmt werden. So ist die Versorgung des Ehepartners gesichert, ohne die Ansprüche der Kinder dauerhaft zu beschneiden. - Vermächtnis
Stiefkinder können zudem über Vermächtnisse bedacht werden. Damit erhalten sie zwar keine Erbenstellung, aber bestimmte Vermögenswerte, die ihnen direkt zugewandt werden. - Teilungsanordnung
Teilungsanordnungen können ebenfalls sinnvoll sein, um schon zu Lebzeiten festzulegen, wie bestimmte Werte im Erbfall verteilt werden sollen. Das reduziert die Wahrscheinlichkeit späterer Streitigkeiten erheblich.

Patchwork und Unternehmensnachfolge
Noch komplexer wird es, wenn ein Familienunternehmen Teil des Nachlasses ist. Pflichtteilsansprüche von Kindern aus erster Ehe können die Fortführung des Unternehmens gefährden. In solchen Fällen ist eine durchdachte Nachfolgegestaltung unverzichtbar.
Mögliche Lösungen zur Erbaufteilung innerhalb einer Patchworkfamilie, wenn ein Unternehmen gesichert werden soll, sind:
- Anordnung einer Testamentsvollstreckung
Ein unabhängiger Dritter wird zum Testamentsvollstrecker benannt und wickelt den Nachlass so ab, dass die Interessen aller Beteiligten gewahrt bleiben. - Nießbrauchsrecht
Beim Nießbrauchrecht werden die Nutzungsrechte vom Eigentum getrennt. Dies kann helfen, die wirtschaftliche Kontinuität in Unternehmen zu sichern. - Vor- und Nacherbschaft
Auch die Vor- und Nacherbschaft bietet Gestaltungsspielräume, um Unternehmensanteile langfristig zu sichern und dennoch alle Kinder angemessen zu berücksichtigen. - Familienpool
Bei dieser gesellschaftsrechtlichen Lösung werden Vermögenswerte in eine Gesellschaft eingebracht, an der die Familienmitglieder beteiligt sind. Dadurch lassen sich Einflussrechte steuern, Streitigkeiten vorbeugen und die Vermögensnachfolge langfristig absichern.
Steuerliche Aspekte bei Patchworkfamilien
Neben den rechtlichen Fragen spielen auch steuerliche Aspekte eine zentrale Rolle. Leibliche und adoptierte Kinder profitieren jeweils von einem Freibetrag in Höhe von 400.000 Euro. Dies gilt auch für Stiefkinder, aber nur wenn der Elternteil und Stiefelternteil verheiratet waren. Die Kinder von nichtehelichen Lebensgefährten fallen in eine schlechtere Steuerklasse, was zu erheblichen Belastungen führen kann.
Beispiel
Ein Vater hinterlässt seiner leiblichen Tochter aus erster Ehe ein Vermögen von 300.000 Euro. Da sie sein leibliches Kind ist, bleibt die Erbschaft wegen des Freibetrags von 400.000 Euro steuerfrei. Hinterlässt er hingegen denselben Betrag dem Sohn seiner nichtehelichen Lebensgefährtin, mit dem kein Adoptionsverhältnis besteht, gilt nur ein Freibetrag von 20.000 Euro. Auf die restlichen 280.000 Euro fällt Erbschaftsteuer an. Je nach Steuerklasse kann das eine fünf- bis sechsstellige Steuerbelastung bedeuten.
Ohne entsprechende Gestaltung sind die steuerlichen Unterschiede eklatant. Durch frühzeitige Schenkungen zu Lebzeiten können Freibeträge mehrfach genutzt werden. Auch durch gezielt eingesetzte Vermächtnisse oder Erbverträge lassen sich steuerliche Nachteile abmildern. Eine gute steuerliche und rechtliche Beratung ist hier unerlässlich, um die Weichen rechtzeitig zu stellen.
Praktische Empfehlungen für Patchworkfamilien
Patchworkfamilien sollten die Nachfolgeplanung nicht aufschieben. Wer frühzeitig klare Regelungen trifft, kann Streit vermeiden und sicherstellen, dass sowohl der Ehepartner als auch die Kinder – leibliche, adoptierte und Stiefkinder – gerecht berücksichtigt werden. Eine individuelle Kombination aus Testament, Erbvertrag und lebzeitigen Schenkungen bietet die größte Sicherheit. In vielen Fällen ist es zudem sinnvoll, alle Beteiligten in die Planung einzubeziehen oder durch eine Mediation unterschiedliche Vorstellungen miteinander abzustimmen.
Eine individuelle erbrechtliche Gestaltung schafft die notwendige Balance zwischen Absicherung des Ehepartners, gerechter Behandlung der Kinder und steuerlicher Optimierung. Wer hier rechtzeitig handelt, sorgt dafür, die eigenen Wünsche im Nachlass durchsetzen zu können und zudem Streit in der Familie zu vermeiden.
Fachanwaltliche Beratung für Patchworkfamilien im Erbrecht
Wenn Sie selbst in einer Patchworkfamilie leben und Fragen zur Nachlassgestaltung haben, empfehlen wir, frühzeitig fachanwaltlichen Rat einzuholen. Unsere Kanzlei unterstützt Sie dabei, eine Lösung zu entwickeln, die rechtssicher ist und den Bedürfnissen aller Familienmitglieder gerecht wird.
Kontaktieren Sie uns gerne für ein erstes Beratungsgespräch; gemeinsam finden wir die passende Strategie für Ihre persönliche Situation.
Infos zu Patchworkfamilien und Erbrecht im Video
Häufig gestellte Fragen zum Erbrecht für Patchworkfamilien
Dann greift die gesetzliche Erbfolge. Sie berücksichtigt nur leibliche und adoptierte Kinder, nicht aber Stiefkinder. Ohne Testament gehen Stiefkinder leer aus.
Nein. Nur bei einer Adoption gelten sie als leibliche Kinder. Ansonsten können sie nur durch Testament, Erbvertrag oder Vermächtnis bedacht werden.
Der Ehepartner erbt gesetzlich einen Anteil und erhält meist einen weiteren Anteil als Zugewinnausgleich. Zusätzliche Absicherung ist über Testament oder Erbvertrag möglich.
Sie behalten ihr Pflichtteilsrecht, auch wenn sie enterbt werden. Das kann zu finanziellen Belastungen führen, wenn etwa Immobilien verkauft werden müssen.
Neben dem Berliner Testament kommen Vor- und Nacherbschaft, Vermächtnisse oder Teilungsanordnungen in Betracht. Welche Lösung passt, hängt von der Familiensituation ab.
Durch klare, individuelle Regelungen. Eine frühzeitige Nachlassplanung sorgt dafür, dass alle Interessen berücksichtigt werden.
Leibliche und adoptierte Kinder haben 400.000 € Freibetrag. Für Stiefkinder gilt dieser nur bei verheirateten Eltern. Andere Kinder zahlen deutlich mehr Erbschaftsteuer.
Spätestens, wenn Kinder aus verschiedenen Beziehungen oder Stiefkinder betroffen sind. Nur eine fachanwaltliche Gestaltung sichert gerechte Ergebnisse.

